Reisebericht Ruanda und Burundi 2020
Vom 7. bis zum 18. Februar 2020 hat eine kleine Gruppe von Support eine Projektreise nach Uganda, Ruanda und Burundi unternommen. Ziel der Reise war es nicht nur, unsere langjährigen Partner vom Meeting Point International (MPI) in Uganda zu besuchen, sondern auch die Projektpartner der neuen Projekte in Ruanda und Burundi kennenzulernen. Zwei Länder, wo Support International bisher nicht tätig war. Es ist unmöglich, alle Begegnungen, die beeindruckenden Schicksale, die Orte und die Erfahrungen in wenigen Zeilen festzuhalten. Trotzdem möchte ich einige der bedeutsamsten Momente, die diese Reise für mich ausgemacht haben, mit Ihnen teilen.
Ruanda
Nach dem etwas chaotischen und lauten Kampala scheint Kigali auf einem anderen Erdteil zu sein. Schon am Flughafen versteht man, wieso dieses kleine Land auch „die Schweiz Afrikas“ genannt wird. Sauber, ordentlich und gepflegt wirkt die Stadt auf die Besucher, sehr gastfreundlich und aufgeschlossen seine Bewohner. Genauso auch die neuen Kollegen der AVSI Ruanda, die uns vier Tage lang durch die wichtigsten Projekte im Lande begleitet haben. Ruanda wird auch das Land „der Tausend Hügel“ genannt, Kigali liegt auf 1.500 m Höhe, und ich habe den Eindruck, dass wir in den vier Tagen durch die Hälfte der „Tausend Hügel“ durchgefahren sind. Nur wenige Hauptstraßen sind geteert, der Rest sind Schotterstraßen, die bergauf und bergab einen starken Magen erfordern und nur mit einem Geländewagen befahren werden können.
Die meisten Kollegen der AVSI haben den Völkermord 1994 miterlebt. Manche reden offen darüber, andere schweigen. Viele haben sich für die Arbeit in der Entwicklungshilfe entschieden, weil sie durch die Nächstenliebe die tiefen Wunden der Vergangenheit lindern und zu einem Neuanfang beitragen wollten.
Mich hat die Einfachheit sehr erstaunt, wie die Menschen in den vereinzelten Ortschaften in den Bergen leben, die wir besucht haben. Wie sie einander helfen, wie sie Stärke in der Gemeinschaft finden und ihr Wille, gegen ihre Armut zu kämpfen. Jedoch fehlen die Mittel und die Bildung. Meist fehlt nur jemand, der ihnen sagt: „Du kannst es schaffen!“ Gerade in diesem Punkt ist das Engagement der AVSI einzigartig. Dies ist am Beispiel von Clementine deutlich zu erkennen:
Clementine war noch ein Kind, als der Genozid stattfand. Sie verlor alle Verwandten und blieb alleine. Als alles vorbei war, schenkte Kagame, der Präsident von Ruanda, jedem Verwaisten ein kleines Haus, damit sie wieder von Neuem anfangen konnten. Auch Clementine bekam ein Haus. Das Trauma aber, das sie erlebt hatte, ließ sie in eine tiefe Depression fallen. Sie zog sich in eine Isolation zurück. Als das Team der AVSI sie kennenlernte, war sie verwahrlost und seelisch kaum zugänglich. Sie lächelte nicht und konnte niemand in die Augen schauen. Materiell war sie nicht in der Lage, für sich selbst zu sorgen. So wurde sie für eine Zeit lang begleitet und bekam regelmäßig psychologische Unterstützung. Langsam kehrt sie ins Leben zurück. Sie lernte wieder, wie sie sich um ihr Haus kümmern soll und wie sie ihr kleines Stück Land pflegen und bepflanzen soll. Durch diese Treue und Freundschaft nimmt sie wieder am Leben teil. „Gott hatte die Augen und das Gesicht dieser Freunde, und sie sind jetzt meine Familie.“ Clementine lernt, dass ihr Leben einen Wert hat. Sie hat jetzt einen Mann und ein Kind. Ihr Lächeln ist beeindruckend, und obwohl man merkt, dass sie einen schweren Weg gegangen ist, leuchtet eindeutig ihre Dankbarkeit hindurch. Clementine besitzt nicht viel: vier Wände, zwei Sessel, einen Tisch, einige Matten, worauf man schlafen kann, ein Gemüsebeet. Als sie uns aufgenommen hat, hat sie mit uns ihren größten Schatz geteilt: Die Geschichte ihres „neuen Lebens“ mittels einer Freundschaft. Davon gibt sie einen Teil als Dank wieder zurück. Jetzt hilft Clementine in ihrer Gemeinde Menschen, die ähnlich tragische Schicksale mit sich tragen.Sie hilft ihnen, Mut zu schöpfen und neu anzufangen.
Auf dieser Dynamik basiert die Hilfe, die AVSI in Ruanda anbietet. Hilfe zur Selbsthilfe, die aus einer Dankbarkeit entsteht. Sei es ein Projekt zur Unterstützung einer Elterninitiative, sei es ein Projekt für alleinerziehende Mütter. Die Dynamik ist immer die Gleiche: AVSI stellt das „Startpaket“ zur Verfügung, bietet Schulungen und Begleitung durch die Sozialarbeiter an. Sie ermutigt aber auch dazu, das weiterzugeben, was man gelernt hat, damit andere davon profitieren können. Wir haben zum Beispiel Agnes kennengelernt, eine der erstaunlichsten Frauen, die ich je kennengelernt habe.
Agnes war sehr arm, sie nahm am Programm der AVSI teil, das Schulungen für Wirtschafts-Förderung und Einkommen schaffende Aktivitäten organisiert. Sie bekam zwei Schweine, lernte das Nötigste über Tierhaltung und -pflege, zudem die Grundlagen der Buchhaltung. Die Tiere vermehrten sich, Agnes verkaufte welche davon, andere verschenkte sie und gab ihr erworbenes Wissen weiter. Innerhalb weniger Monate hatte sie ein richtiges Geschäft, das es ihr ermöglichte, ein Stück Land zu kaufen. Als wir Agnes kennengelernt haben, war das kleine Stück Land zu einer größeren Fläche geworden. Aktuell gibt sie mehreren Menschen Arbeit, indem sie das Stück Land für sie bewirtschaften. Eine echte Unternehmerin! Sie sieht einen Teil ihrer Aufgabe darin, anderen ihre Geschichte zu erzählen, damit sie ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen und mit der nötigen Unterstützung ihre Armut bekämpfen. Mit dieser Haltung ist Agnes in ihrer Gemeinde zu einem Bezugspunkt geworden: im örtlichen Kindergarten, in Frauenkreisen und bei den lokalen Gemeindeautoritäten.
Clementine und Agnes sind nur zwei Beispiele von vielen, die wir gesehen haben, zwei Geschichten unter vielen, die uns von der Arbeit der AVSI Ruanda überzeugt haben. AVSI entfaltet ihre Programme durch die sogenannten URINZIRA-Zentren. URINZIRA (URunana rw' Imirjango mu NZIRa y'Amaijambere) bedeutet „Familie und Gemeinde gemeinsam für die Entwicklung“. In diesen Zentren werden lokale Ressourcen aus dem Gesundheits- und dem sozialen Sektor sowie aus dem öffentlichen Sektor zu einer gemeinsamen Plattform zusammengeführt, die für das gesamte Dorf, einschließlich der am stärksten marginalisierten Menschen, zugänglich ist und die Resilienz der Begünstigten stärkt.
Wir haben beschlossen, einige Projekte in Ruanda zu unterstützen und hoffen, dass dies der Anfang einer erfolgreichen Partnerschaft ist! Wenn wir Sie neugierig gemacht haben, lesen Sie die Projektvorstellungen auf unserer Homepage!
Am letzten Tag unseres Aufenthaltes in Ruanda haben wir die Möglichkeit gehabt, eine Wallfahrt nach Kibeho zu machen, dem einzigen vom Heiligen Stuhl anerkannten Marien-Erscheinungsort auf dem gesamten afrikanischen Kontinent. Die Gottesmutter ist drei Mädchen (Alphonsine Mumureke, Nathalie Mukamazimpaka und Marie Claire Mukangango) vom 28. November 1981 bis 28. November 1989 erschienen und rief die Menschen zu Umkehr, Buße und Gebet auf. Sie nannte sich „Nyina wa Jambo“, was in der einheimischen Sprache soviel bedeutet wie „Mutter des Wortes“.
Kibeho liegt im gebirgigen Südwesten des Staates Ruanda und ist eigentlich ein Ort des Friedens. Deshalb strömten während des Völkermordes von 1994 viele Menschen nach Kibeho, da sie sich an einem Wallfahrtsort sicher wähnten. Alles wurde aber ganz anders: Am 14. April begann das Massaker von Kibeho, an den 15.000 Flüchtlingen, die auf dem vermeintlich sicheren Gelände rund um die Wallfahrtskirche und in der Kirche selbst Schutz gesucht hatten. Ein Memorial erinnert heute an diese schrecklichen Taten.
Auf der Fahrt nach Kibeho waren wir begleitet von einer AVSI-Mitarbeiterin, die ihre ganze Familie während des Genozids verloren hatte. Sie erzählte uns, wie ihre Eltern vor ihren Augen getötet wurden und wie sie entkommen konnte. Kibeho bleibt aber für sie ein Ort der Hoffnung: Wie ihre Mutter nach Kibeho ging, um für ihre Kinder zu beten, so geht sie jetzt dorthin, um für ihre Eltern zu beten.
Am Tag unseres Besuchs strömten nach Kibeho Kinder und Jugendlichen aus der ganzen Region (für einige hieß es, einen ganzen Tag zu reisen) zu einem für sie gedachten Gottesdienst. Es waren drei Stunden voller Freude, Singen und Tanzen. Am Ende des Gottesdienstes konnten wir Nathalie Mukamazimpaka treffen, die noch in Kibeho lebende Seherin.
Burundi
Burundi ist das Geschwisterland von Ruanda. Die Bevölkerung von Burundi stammt aus den gleichen Ethnien wie in Ruanda, und die Sprache ist sehr ähnlich. Politisch und wirtschaftlich scheint Ruanda momentan besser gestellt zu sein als Burundi.
Ruanda und Burundi, wie auch andere sub-äquatoriale afrikanische Länder, teilen das Problem der „Teenager-Mütter“. Wenn Kinder oder Teenager unverheiratet zu Müttern werden, ist das in den allermeisten Fällen das Resultat eines Mangels an Erziehung, von Not oder Gewalt. Nach der burundischen Gesetzgebung müssen diese Teen-Mütter die Schule oder ihre Ausbildung abbrechen und werden meist auch noch von ihren eigenen Familien verstoßen. Als Folge leben diese Frauen oft ganz alleine auf sich gestellt auf der Straße und sind leichte Opfer weiterer Gewalt. AVSI koordiniert in Kooperation mit lokalen NGOs ein dreistufiges Programm zur Resozialisierung dieser Frauen.
Als Soforthilfe werden die schwangeren Frauen in eine Art Frauenhaus (Maison Marthe Robin – von einer katholischen Nonne gegründet) liebevoll aufgenommen. Ihnen wird bei der Geburt geholfen, und sie teilen das tägliche Leben mit anderen Frauen, die das gleiche Schicksal erlitten. Wir haben diese jungen Mütter in ihrer Unterkunft besucht. Es war eine herzzerreißende Erfahrung, sie alle gemeinsam mit ihrem Kind im Arm um uns herum zu sehen. Das Wissen, das ihnen eine Chance für eine positive Zukunft gegeben wurde, machte diese Erfahrung erträglich.
Nach der Geburt ihres Kindes bekommen sie eine Berufsausbildung bei einem sozialen Unternehmen, dem Kaz‘O’zah, (übersetzt so viel wie „vielversprechende Zukunft“). Sie werden in der Herstellung von Gegenständen geschult (Nähen, Schneiden, Basteln…), und zusätzlich bekommen sie ein Basiswissen in finanziellen Dingen (Rechnen, wie man ein Geschäft betreibt etc.). Wenn nötig erhalten sie auch einen Alphabetisierungskurs. Die Ausbildung dauert genau 20 Tage. Danach werden sie angehalten und begleitet, selbst ein kleines Geschäft aufzubauen. Wir haben selbst drei Frauen besucht, die nach dieser Ausbildung und mit Hilfe der AVSI einen kleinen Stand am Markt (20€ monatliche Miete) für Kinderbekleidung aufgemacht haben.
Im Rahmen des Unterstützungsprogrammes erfolgt dann der dritte Schritt: die Wiedereingliederung der jungen Mütter und ihres Kindes in ihre Familien. Dass sie jetzt durch die Ausbildung selbst den Unterhalt verdienen, ist dabei eine wesentliche Hilfe. Leider werden ab und zu die Frauen aber nicht mit ihrem Kind aufgenommen – insbesondere bei Jungen – wegen einer möglichen Aufteilung des Erbes.
Im Rahmen des Projektes ARTE unterstützt AVSI Burundi junge Leute, ganz kleine Unternehmungen oder Kooperativen zu starten. Wir konnten sehen, wie sechs junge Männer und sechs Frauen erfolgreich eine Bäckerei gegründet hatten. Ihr Expansionsvorhaben wird im Moment nur durch den Mangel an Mehl und Brennholz gebremst. In ähnlicher Weise haben fünf junge Männer und drei Frauen eine kleine Werkstatt aufgemacht, wo sie feste Seifenstücke herstellen. Die jungen Leuten hatten sogar den Mut, den Tisch für den Seifenschnitt selber zu kaufen. Das Geschäft läuft sehr gut, da die Nachfrage sehr hoch ist. Die Seife wird nicht vor Ort verkauft, sondern bei den Märkten oder an andere kleine Geschäften (Boutiquen) zum Weiterverkauf.
Ein wahres Highlight war der Besuch des MEO (Mères, Enfants, Orphelins)-Center in Cibitoke. Dieses Center steht den Straßenkindern sowie den Frauen und Männern des Viertels offen. Die Kinder können um 8:00 hereinkommen und erhalten je nach Alter und Kenntnissen eine Schulausbildung bzw. eine kindergartenähnliche Früherziehung. Außerdem ein warmes Mittagessen (für einige die einzige Mahlzeit am Tag).
Die Erwachsenen machen gemeinsame Initiativen/Kooperationen und werden je nach Bedürfnis in bestimmten Arbeitsbereichen angelernt. Sie haben insbesondere eine gemeinsame Kasse, in welche man Geld einzahlen kann, aber aus der man auch Minikredite (mit kleinen Zinsen) erhalten kann. Das Geld gehört der Initiative und wird in einem gesicherten Schrank des Zentrums aufbewahrt. Jeden Dienstag bzw. Freitag sitzen sie zusammen. Einmal im Jahr wird das Geld an alle verteilt – je nach Einlage!
Burundi ist sehr bekannt für seine traditionellen Tänze, und im MEO Center wird diese Tradition gelernt und gepflegt. Am Ende unseres Besuches haben uns zwei Tänzergruppen eine kleine, schöne Kostprobe ihres Könnens präsentiert.
Burundi haben wir besucht auf Empfehlung von Andrea Bianchessi, regional Manager, obwohl aktuell keine gemeinsamen Projekte AVSI/Support dort laufen. Die Vitalität und das Engagement der dortigen AVSI-Mitarbeiter lässt uns aber diese Eventualität nicht ausschließen.
Bericht von Erica Berni und Amedeo Mini.